Fachtagung 2007

„Spiel ohne Grenzen? Frauenhandel bekämpfen – eine europäische Herausforderung“

Ort: Regensburg, Datum: 8. März 2007

Aus der Einladung zur Fachtagung

„Mythos Europa“ – eine Sage aus der antiken Welt. „Der Mythos handelt von Zeus, von Sex, Entführung und Gewalt. In einen Stier verwandelt raubt Göttervater Zeus die phönizische Königstochter Europa. Was im Mythos anklingt, hat beklemmende Aktualität gewonnen. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind viele Schranken gefallen, die den Austausch von Ideen und Gütern verhinderten, die Reisefreiheit und Freizügigkeit der Menschen zwischen Ost und West unmöglich machten. Nun sind Menschen, Ideen und Güter in Bewegung“ (OSTEUROPA 6/2006). Die neue Freiheit hat aber auch Schattenseiten. Zu diesen gehört der Frauen- und Menschenhandel sowie die grenzüberschreitende Prostitutionsmigration von Ost nach West. Und wieder ist von Sex, Entführung und Gewalt die Rede. Die Rollen auf diesem Markt sind klar verteilt. Frauen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa bieten überall in Westeuropa sowie entlang der innereuropäischen Wohlstandsgrenze Sexdienste an – aber eben nicht nur freiwillig.

Viele von ihnen geraten in die Fänge skrupelloser Geschäftemacher, werden Opfer von Zwangsprostitution und Frauenhandel. Dieses grenzüberschreitende europäische Problem muss in Ost und West als gemeinsame Herausforderung gesehen und bekämpft werden.


2007: An die Grenzen stoßen – Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Menschenhandels

Heike Rudat, Kriminaldirektorin und frauenpolitische Sprecherin des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK)

Zur Beschreibung von Problemen und Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Menschenhandels aus der strafverfolgenden Sicht ist es zunächst notwendig aufzuzeigen, was Menschenhandel ist und wie er sich darstellt. Oft wird in der Öffentlichkeit der Begriff Menschenhandel mit Zwangsprostitution gleichgesetzt. Das ist zwar populär, trifft aber nicht das Phänomen und verführt leicht zur Gleichsetzung mit der legal ausgeübten Prostitution.

Unabhängig von differierenden Ansichten zur gesellschaftlichen Stellung und Einordnung der Prostitution in der Bundesrepublik Deutschland sollte auf eine trennscharfe Differenzierung der Begriffe und Inhalte geachtet werden, um die legale Ausübung einer Tätigkeit von kriminellen Taten zu unterscheiden. Richtig wäre die Formulierung: Menschenhandel findet auch im Bereich der Prostitution statt, aber Menschenhandel ist nicht per se Prostitution.

Darüber hinaus wird seit der Implementierung des sog. „Palermo- Protokolls“ im deutschen Strafrecht im Februar 2005 unter dem Begriff des Menschenhandels in der Bundesrepublik auch der Handel zur Ausbeutung der Arbeitskraft verstanden, d. h. die Ausbeutung von Menschen im Arbeitsmarkt, eine Kriminalitätsform, die in der Öffentlichkeit bisher kaum Beachtung findet, für die Betroffenen jedoch ebenso belastend ist wie die sog. Zwangsprostitution. Die Erläuterung sowie die korrekte Definition des Begriffs und dessen Anwendung sind wichtig, um die gesamte Dimension des Phänomens erkennen, beschreiben und eine zielgerichtete fachliche Diskussion führen zu können. Im Folgenden möchte ich mich auf die Erörterung des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung konzentrieren.

1. Wie stellt sich Menschenhandel in Deutschland dar?

Die Zahlen der Verfahren zum Menschenhandel sind in Deutschland gemäß dem Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) seit drei Jahren rückläufig.2 Waren es 2003 noch 431 Ermittlungsverfahren, so sank die Zahl im Jahr 2004 auf 370 und im Jahr 2005 auf 317 Verfahren. Einzelne Bundesländer haben zeitweise keine und fast keine Verfahren festgestellt. Korrespondierend mit den Verfahrenszahlen gingen auch die Zahlen der identifizierten Opfer zurück, waren es 2004 noch 872, so konnten im Jahr 2005 bundesweit noch 642 Opfer von den Polizeien in Deutschland identifiziert werden. Die Opfer – fast ausschließlich Frauen, weshalb ich im Folgenden die weibliche Form verwende – stammen hauptsächlich aus Mittelosteuropa (MOE), den sog. MOE-Staaten, wobei die Verteilung der einzelnen Länder während der Jahre variiert. Im Jahr 2005 waren Rumänien und Russland am stärksten vertreten. Den zweiten Platz bei der Nationalität der Opfer nehmen Frauen aus Deutschland ein. Entgegen der oft in der Bevölkerung und Öffentlichkeit vorherrschenden Meinung können auch deutsche Staatsangehörige Opfer von Menschenhandel werden. Der Grenzübertritt bzw. die Migration ist nicht zwingendes Kriterium für die Verwirklichung des Menschenhandels, sondern die Ausbeutung in Zusammenhang mit weiteren Tatbestandsmerkmalen wie z. B. der Täuschung etc. Den Hauptanteil unter den 2005 festgestellten 683 Tatverdächtigen stellen mit 283 Tätern deutsche Staatsangehörige.

2. Wie werden Frauen Opfer von Menschenhandel?

Auch zu dieser Frage gilt es, vorherrschende Stereotype zu hinterfragen und aufzulösen. Das mir immer wieder begegnende Bild der gewaltsam verschleppten, blau geschlagenen und zur Prostitution gezwungenen Frau als Opfer des Menschenhandels ist oberflächlich und zudem gefährlich, führt es doch dazu, dass Frauen, die zunächst freiwillig der Prostitution nachgegangen sind, dann aber ausgebeutet und Opfer von Menschenhandel wurden, oft nicht als Opfer akzeptiert werden.

Es gibt vier bekannte Wege, wie Frauen Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung werden können:

– Frauen werden auch heute noch gewaltsam zur Prostitution gezwungen, ohne dass sie vorher etwas über ihre Tätigkeit wussten. Meist handelt es sich dabei um Migrantinnen, die unter Anwendung von Gewalt über die Grenzen nach Deutschland gebracht werden und dann hier auch wiederum unter Anwendung von Gewalt zur Ausübung der Prostitution gezwungen werden.

– Bei der zweiten Form werden die Frauen über die Art der Tätigkeit getäuscht, d. h. ihnen wird beispielsweise gesagt, dass sie in Deutschland als Reinigungskraft, Tänzerin etc. arbeiten können. In Deutschland angekommen, eröffnen ihnen die Täter, dass sie in der Prostitution arbeiten müssen.

– Der dritte Weg führt über die gezielte Anwerbung als Prostituierte, d. h. die Frauen wissen, dass sie in der Prostitution arbeiten werden, und sie wollen dies auch. Mit dem Beginn ihrer Arbeit als Prostituierte in Deutschland werden dann die Arbeitsbedingungen geändert: Der vereinbarte Lohn von z. B. 50- 60% der Einnahmen wird nicht mehr gezahlt, jetzt erhalten sie nur noch max. 10%. Es gibt keine Pausenzeiten, Freier sowie Sexualpraktiken dürfen nicht abgelehnt werden. Die Frau würde unter diesen Bedingungen nicht arbeiten, wird nunmehr dazu gezwungen und ausgebeutet.

– Ein weiterer Weg ist die Vermittlung in eine sog. Scheinehe, d. h. die Frau heiratet einen deutschen Mann, der sie dann zur Prostitution zwingt, um den „gemeinsamen Lebensunterhalt zu sichern“.

Alle diese Wege in die Ausbeutung werden begleitet durch physische oder psychische Gewalt, z. B. fast durchgängig durch Abnahme des Passes, Drohungen gegen die eigene Person oder Familienangehörige in den Herkunftsländern, was die Frau aufgrund fehlender Kontakte nicht überprüfen kann.

Die Gewichtung zwischen diesen vier Formen hat sich in den letzten Jahren verschoben, immer mehr Frauen werden Opfer von Menschenhandel, die sich zunächst freiwillig in die Prostitution begeben haben, ab einem bestimmten Zeitpunkt dieses jedoch unter den vorgegebenen Bedingungen nicht mehr freiwillig tun wollten. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit, wer Opfer von Menschenhandel sein kann, zählt leider oftmals nicht Frauen zu dieser Gruppe, die vorher in der Prostitution gearbeitet haben. Dieses überholte Bild muss unbedingt revidiert werden.

Wir bemühen uns als Fachverband der Kriminalisten Themen von der oberflächlichen Betrachtung in die Tiefe zu bringen, um tatsächliche Problemlösungen herbeiführen zu können. Die geschilderten Wege in den Menschenhandel spielen eine wichtige Rolle für die Bekämpfungsansätze der Strafverfolgung, insbesondere der Polizei. Der in den Medien vielfach verwendete Begriff der Zwangsprostitution bezeichnet zwar auf den ersten Blick das Problem, in einer fachlichen Diskussion wäre er jedoch nur eindimensional und sollte daher möglichst vermieden werden.

3. Wie stellt sich Prostitution in Deutschland dar?

Für die Strafverfolgungsbehörden ist es notwendig zu wissen, woProstitution stattfindet, nicht, um sie zu reglementieren, sondern um ihre Maßnahmen zur Identifizierung von potenziellen Opferzeugenauszurichten. Die polizeiliche Kontrolle des sog. Rotlichtmilieus findet ihre Berechtigung in dem immer noch hohen Anteil anidentifizierten Opfern des Menschenhandels durch polizeiliche Maßnahmen und der vorhandenen Begleitkriminalität wie Drogen-/Waffen- und Rohheitsdelikten. Der BDK plädiert ausdrücklich für die gesetzlichen Voraussetzungen zur polizeilichen Kontrolledes sog. Rotlichtmilieus. Prostitution in Deutschland findet im Wesentlichen in drei Bereichen statt:

– der Straßenprostitution, – in Bars/Bordellen und – über Haus-/Hotelagenturen.

Beim letztgenannten Punkt handelt es sich um die diversen Mobilfunknummern,die in allen Medien, besonders in der Presse, angeboten werden. Darüber hinaus spielen das Internet und Kurzmitteilungendes Handys (sms) bei der Vermittlung von sexuellen Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Während die Bereiche der Straßenprostitution sowie der Bars und Bordelle von der Polizei einsehbar und damit kontrollierbar sind, findet die Haus- und Hotelprostitution im Verborgenen statt. Die Frauen werden aus nicht sichtbaren Wohnungen zu den Kunden gerufen. Das bietet hervorragende Tatgelegenheitsstrukturen für Menschenhändler, zumal es sich bei einem großen Teil der potenziellen Opfer um Frauen mit illegalem Aufenthaltsstatus handelt. Das Droh- und Erpressungspotenzial der Täter ist bei diesen Frauen besonders groß, arbeiten sie neben den bereits erwähnten Formen der psychischen und physischen Gewalt mit der Drohung der Rückkehr in das Herkunftsland. Zwischen den einzelnen Bereichen der Prostitution findet ein Austausch statt, Frauen wechseln die Bundesländer oder werden von den Zuhältern getauscht und verkauft. Ich möchte an dieser Stelle mit einem weiteren Stereotyp aufräumen. Es gibt in Deutschland nicht den sog. „Paten“ des Rotlichtmilieus. In jeder Region/Stadt gibt es zwar lokale Führungspersonen, ein einziges Oberhaupt für Deutschland existiert nicht. Die einzelnen Gruppen stehen in „geschäftlichen“ Kontakten zueinander, die von ethnischen Hintergründen und Begleitkriminalität wie Schutzgelderpressung etc. geprägt sind.

4. Bekämpfungsansätze der Strafverfolgung in Deutschland

Ein Teil der Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels wird durch polizeiliche Kontrollen, Anzeigen der Opfer oder durch Anzeigen Dritter veranlasst. Dies findet auch Eingang bei den Strafverfolgungsmaßnahmen.

Diese sind geprägt von – Kontrollen im Milieu, – Initiativermittlungen aufgrund eigener Recherchen und – Verstärkung des Opferschutzes, hier Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NRO).

Letzter Punkt, die Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen, ist elementar für den Erfolg der Menschenhandelsverfahren. Die Aussage der Opfer ist existenziell für das Strafverfahren, stehen doch i.d.R. wenig Sachbeweise zur Verfügung. Das Opfer bzw. das potenzielle Opfer hat jedoch oft kein Vertrauen zur deutschen Polizei, wird ihm von den Tätern doch suggeriert, die deutsche Polizei arbeite ebenso wie in den Herkunftsländern mit den Tätern zusammen. Zudem drohe bei einer Aussage dem Opfer die Ausreiseverfügung. Dieses Vertrauen des Opfers gilt es zu gewinnen. Das passiert u. a. auch durch eine adäquate Versorgung und Betreuung des Opfers, was durch die Polizei allein nicht zu leisten ist.

Daher wurden in vielen Bundesländern Kooperationsvereinbarungen zwischen den Polizeien und den NRO geschlossen, die eine klare Rollen- und Aufgabenverteilung festlegen. Trotz oftmals partiell anderer Zielsetzungen der einzelnen Kooperationspartner arbeiten sie im Interesse des Opferschutzes zusammen. Die Zusammenarbeit ist geprägt von der gegenseitigen Anerkennung und dem Respekt der unterschiedlichen Aufgaben. Ziel ist die Verbesserung der Situation des Opfers. Wichtig dabei ist die auch gegenüber dem Opfer deutliche Differenzierung zwischen Polizei und NRO.

5. Probleme

Die registrierten Zahlen für Menschenhandel in der Bundesrepublik sind seit drei Jahren gemäß BKA rückläufig, obwohl alle Experten in der Einschätzung übereinstimmen, dass das tatsächliche quantitative Niveau nicht abgenommen hat. Ursachen könnten möglicherweise in der EU-Osterweiterung und dem damit veränderten Aufenthaltsstatus von potenziellen Opfern liegen. Die Strafverfolgungsbehörden registrieren eine verstärkte Ausstattung von Opfern des Menschenhandels mit gefälschten Papieren der Beitrittsländer. Das erschwert zumindest temporärdie Ermittlungen. In einigen Bundesländern fehlen nach Inkrafttreten des sog. Prostitutionsgesetzes (ProstG) im Januar 2002 die rechtlichen Grundlagen zur Kontrolle von Prostitutionsbereichen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert an dieser Stelledie Innenminister dieser Länder auf, durch Gesetzesnachbesserungwieder die Grundlagen für diese notwendigen polizeilichen Kontrollen zu schaffen. Die fehlende Aussagebereitschaft der Opfer lässt die Strafverfolgungsbehörden zeitweise auf einen anderen Straftatbestand, dem der Schleusung, ausweichen, so dass Fälle, die zwar kriminologisch als Menschenhandel einzuordnen sind, später nicht mehr in der Statistik zum Menschenhandel erscheinen. Bereits die Untersuchung von Annette Herz legte diese Problematik offen. Das Fazit könnte also lauten: weniger Opfer, die von den Strafverfolgungsbehörden erkannt werden, und weniger Opfer, die bereit sind, Anzeige zu erstatten und auszusagen.

6. Lösungsvorschläge

Es ist leicht Probleme aufzuzeigen, ohne Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Folgende Lösungsvorschläge bietet der Bund Deutscher Kriminalbeamter:

Schaffung von Spezialdienststellen zur Bekämpfung des Menschenhandels in allen Bundesländern mit ausreichendem Frauenanteil Immer noch fehlen in einigen Bundesländern Spezialdienststellen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Teilweise wird dieses Phänomen bei den Delikten der Organisierten Kriminalität, den Sexualdelikten oder der allgemeinen Kriminalität bearbeitet. Der Umgang mit traumatisierten Opfern erfordert eine besondere Aus- und Fortbildung. Ist dieses Wissen nicht vorhanden,läuft die Ermittlungsbehörde Gefahr, die Aussagebereitschaft des potenziellen Opfers gänzlich zu minimieren. Um effizient ermittelnzu können, benötigen die Ermittler spezielle Kenntnisse im sog. Rotlichtmilieu, z. B. über Vernetzungen etc. All dieses Wissen erwirbt und trainiert man nicht, wenn man nur ein oder zwei Mal im Jahr einen derartigen Fall bearbeitet. Die Gefahr, potenzielle Opfer nicht zu erkennen und ihre Aussagebereitschaft durch nicht adäquaten Umgang zu senken, ist bei fehlenden Fachdienststellen und fehlender Spezialisierung sehr hoch. Die Notwendigkeit zur Einrichtung dieser Spezialdienststellen ist ebenso gegeben wie zur Schaffung von Fachdienststellen zur Terrorbekämpfung.

Aus- und Fortbildung der allgemeinen Polizei Das Erkennen und Identifizieren von Opfern bei allgemeinen polizeilichen Kontrollen spielt eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Hierzu zählt auch der angemessene und respektvolle Umgang mit den Prostituierten während der Kontrollen. Eine entsprechende Sensibilisierung und bundesweite Ausund Fortbildung ist dazu erforderlich.

Einrichtung von Fachdezernaten bei der Staatsanwaltschaft Auch bei der Justiz halten wir die Einrichtungen von Spezialabteilungen in allen Bundesländern für sinnvoll und notwendig, gilt es doch auch hier, die Staatsanwälte im Umgang mit traumatisierten Opfern fortzubilden. Zudem bedienen sich die Täter oftmals einem gleich bleibenden Kreis von Verteidigern. Entsprechende Kenntnisse der Staatsanwälte könnten hier verfahrensfördernd sein.

Kooperation mit den NRO in allen Bundesländern Leider gibt es immer noch nicht in allen Bundesländern Kooperationsabkommen zwischen der Polizei und den Beratungsstellen. Dies ist jedoch zwingende Voraussetzung zur besseren Opferversorgung und damit auch zur Verbesserung der Aussagebereitschaft der Frauen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert hier nachdrücklich alle noch fehlenden Länder auf, diese Lücke zu schließen.

Erhöhung der Opferschutzmaßnahmen Ein wesentlicher Aspekt im Strafverfahren ist die Aussage des Opfers. Um die Bereitschaft herzustellen, bedarf es u. a. die Situation von Opfern des Menschenhandels zu verbessern. Eine wesentliche Drohung der Täter ist immer wieder die zwingende Ausreise aus Deutschland, falls die Opfer aussagen. Genau dies tritt spätestens nach Abschluss des Strafverfahrens auch tatsächlich in den meisten Fällen ein. Hier hat der Bundesgesetzgeber, auch im Rahmen der Reform des Aufenthaltsgesetzes, nach Verbesserungsmöglichkeiten für den Aufenthaltsstatus der Opfer zu suchen und diese festzuschreiben, will er nicht den Tätern in die Hand arbeiten. Die Frau sichert schließlich das Strafverfahren. Unabhängig davon obliegt dem Staat auch eine Pflicht zum Opferschutz. Im europäischen Raum wird derzeit das sog. „Italienische Modell“ diskutiert. Es findet seine Wurzeln in Italien, wo es erfolgreich praktiziert wird, und beinhaltet die Entkoppelung des Aufenthaltsrechts für Opfer des Menschenhandels von ihrer Aussagebereitschaft vor den Strafverfolgungsbehörden. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter wünscht sich eine Diskussion und kritische Prüfung der Implementierung für Deutschland.

Ausreichende flächendeckende Finanzierung der NRO Immer noch müssen viele Beratungsstellen von Jahr zu Jahr um eine ausreichende Finanzierung kämpfen. Eine kontinuierliche Arbeit zur Opferunterstützung wird dadurch erschwert. Hier ist eine dauerhafte flächendeckende Lösung anzustreben, etwa durch die Einrichtung von Länderfonds. Auch die Zertifizierung von NRO wäre ein Schritt in Richtung Qualitätssicherung und anschließender gesicherter Finanzierung für NRO.

Schaffung von einem einheitlichen Opferschutzprogramm in Deutschland Es gibt zwar in Deutschland ein einheitliches Zeugenschutzprogramm, doch sind die Schwellen und Bedingungen zum Eintritt in dieses Programm sehr hoch und treffen auf die überwiegende Zahl der Opfer von Menschenhandel nicht zu. Obwohl sie nicht das enge Raster des Zeugenschutzprogramms erfüllen, benötigen im Übrigen nicht nur Opfer von Menschenhandel Schutz. Zurzeit sind diese Opferschutzmaßnahmen von dem Ermessen und den Ressourcen jedes Bundeslandes und jeder Kommune abhängig. Datenschutzrechtliche Anträge z. B. müssen umständlich individuell gestellt werden und binden unnötig Kräfte. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert daher für Deutschland ein einheitliches Opferschutzprogramm mit Qualitätsstandards in allen Bundesländern. Beteiligt und verantwortlich sollten alle Behörden/Institutionen sein, die Berührungspunkte mit Opfern von Gewaltdelikten haben. Das Programm sollte insbesondere vereinfachte behördliche Verfahrensweisen zum Schutz der Opfer zum Ziel haben, dies auch über kommunale und Ländergrenzen hinweg.

Vernetzung aller Behörden/Institutionen, die im Zusammenhang mit Menschenhandel arbeiten Immer noch arbeiten zu viele Organisationen im Bereich des Menschenhandels nebeneinander her und vergeuden damit wertvolle Ressourcen. Die Vernetzung durch die Einrichtungen von sog. Runden Tischen/Kommissionen etc. in allen Bundesländern sollte zum Ziel u. a. Verfahrensverbesserungen zur Vermeidung von unnötigen Härten für die Opfer haben. Zudem könnten aus solchen interdisziplinären Kooperationen Initiativen für Optimierungsvorschläge zur Bekämpfung des Menschenhandels erarbeitet werden. Auch hier wären im Übrigen Fachdienststellen bei Polizei und Staatsanwaltschaft verfahrenserleichternd.

Arbeitsbedingungen für Prostituierte Ein wichtiger Faktor bei der Bekämpfung des Menschenhandels ist die Situation im Prostitutionsgewerbe. Stärkt man die Rechte der Prostituierten, haben sie eher den Mut, gegen ihre Ausbeuter vorzugehen. Die Prostitution in den Graubereich, d. h. in den illegalen Bereich, abzudrängen, wäre für die Bekämpfung des Menschenhandels kontraproduktiv. Bei Verbot der Prostitution würde diese weiterhin stattfinden, wie man an einigen Staaten, insbesondere Schweden, sehen kann. Sie würde dann nur nicht mehr für die Polizei sichtbar sein. Transparenz und Sichtbarkeit ist jedoch für die Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung des Menschenhandels von hoher Bedeutung. Nur das, was sie sehen, können sie auch kontrollieren. Die Chance, im nicht sichtbaren Bereich Straftaten zu begehen, ist ungleich höher.

Die Pönalisierung der Prostitution würde Kräfte der Polizei binden, die sie in Zeiten immer geringerer Ressourcen für die Verfolgung der Täter benötigt. Daher ist die Stärkung der Rechte von Prostituierten für die Bekämpfung des Menschenhandels vorteilhaft. Da sich jedoch im Rotlichtmilieu nicht nur biedere Geschäftsleute aufhalten, wäre eine Konzessionierung sinnvoll, um die „Spreu vom Weizen“ zu trennen. Die Stadt Dortmund ist bereits diesen Weg gegangen. Das sog. „Dortmunder Modell“ beinhaltet u. a. die schriftlich fixierte Beschreibung der Arbeitsplatzgestaltung in einem Bordell. Die Herstellung und Einhaltung dieser Kriterien sind Voraussetzungen für den Erwerb einer Konzession. An der Erstellung dieser Konzessionierungsbedingungen haben zuvor alle Verfahrensbeteiligten mitgewirkt. Auch in anderen Bundesländern sollten die Kommunen dieses Modell prüfen und ggf. umsetzen.

Freierbestrafung Es ist ein Trugschluss zu glauben, mit der Bestrafung von Freiern von Menschenhandelsopfern allein den Menschenhandel bekämpfen zu können. Die strafrechtliche Norm, an der derzeit gearbeitet wird, sollte auch praktikabel sein. Sie muss von den Strafverfolgungsbehörden anwendbar sein. Was nützt ein Straftatbestand, wie der derzeitige Entwurf der CDU/CSU-Fraktion, wenn er in der Praxis aufgrund der fehlenden Beweisbarkeit nicht umsetzbar ist. Er wäre ein stumpfes Schwert, der nur zu einer weiteren Belastung der Ermittlungsbehörden führt und bei den potenziellen Tätern durch fehlende Verurteilungen seine Wirkung verfehlt.

Damit kein Zweifel entsteht: Der Bund Deutscher Kriminalbeamter ist für die Bestrafung von Freiern, die wissentlich die Zwangslage eines Menschenhandelsopfers ausnutzen. Nur, ein entsprechender neuer Straftatbestand muss auch der Praxis standhalten, d. h. die Beweisführung muss tatsächlich möglich sein und zum Erfolg führen. Daher fordert der BDK keinen Schnellschuss bei der Gesetzgebung, sondern die vorherige Einbindung aller Beteiligten.

Zum Abschluss meines Beitrages möchte ich noch eine Bemerkung hinzufügen: Spiel ohne Grenzen? Ohne Grenzen ja, aber ein Spiel? Dazu von mir ein klares Nein! Für die Täter ein Geschäft, für die Opfer bittere Wirklichkeit!


2007: Armut – Migration – Frauenhandel: Das Beispiel der Republik Moldau

Anton Cosa, Katholischer Bischof von Chisinau, Republik Moldau

Burkhard Haneke, Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, Renovabis-Geschäftsführer

1. Einführung

Wenn in öffentlichen Diskussionen das Problem des Frauenhandels im Zusammenhang mit Osteuropa angesprochen wird, ist von einem Land bevorzugt die Rede, nämlich der Republik Moldau oder Moldova (häufiger, aber fälschlich „Moldawien“ genannt). Und tatsächlich ist Moldova – bedingt durch die akute Armut und die daraus resultierende, meist illegale Auswanderung – eines der Hauptherkunftsländer von Opfern des Frauenhandels. Dies bestätigen unisono alle europäischen und internationalen Analysen, auch wenn niemand in diesem Feld organisierter Kriminalität verlässliche Opferzahlen nennen kann.

Denn schon die Zahl der Auswanderer insgesamt – überwiegend sind es jüngere Menschen – lässt sich nur annähernd bestimmen. Doch gehen Schätzungen von bis zu einer Million emigrierter Frauen und Männer aus. Das wären etwa 25 % der Gesamtbevölkerung (ca. 4,2 Mio), die vorübergehend oder ständig im Ausland leben. Sie haben Moldova, das heute neben Albanien als ärmster Staat Europas gilt, verlassen, um in anderen Ländern eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Dass sie dabei häufig auch in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen bzw. kriminellen Verstrickungen zum Opfer fallen, ist eine bittere Realität, die aber die Auswanderungswelle bis heute nicht bremsen konnte. Im Allgemeinen sei, so heißt es, ein Kind ins Ausland zu schicken, immer noch die beste Investition für eine Familie.

2. Wirtschaftliche und soziale Entwicklung

Die Republik Moldau ist (noch) ein sehr armes Land. Vielleicht sollte man aber besser sagen: ein verarmtes Land. Denn vor dem Zerfall der Sowjetunion galt es bis Anfang der 90er-Jahre als eine der wohlhabendsten Sowjetrepubliken, ja als ein „blühender Garten“, in dem ein bedeutender Teil der Agrarproduktion der seinerzeitigen UdSSR erzeugt wurde. Im Jahr 2003 produzierte die moldavische Landwirtschaft dann aber nurmehr weniger als die Hälfte des Wertes von 1990. Der Schritt in die Unabhängigkeit (am 27. August 1991), der Verlust der früheren Märkte und Lieferanten sowie der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft (mit entsprechender Privatisierungspolitik) brachte die junge Republik in eine extrem schwierige Situation – mit drastischem Sturz des Bruttoinlandsprodukts, dem Anstieg der Arbeitslosigkeit, einer Hyperinflation und aus all dem folgend der Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung. Insbesondere hatte die russische Finanzkrise Ende der 90er-Jahre massive Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Lage in Moldova. Davon hat sich die kleine Republik bis heute noch nicht ganz erholt. Derzeit leben in Moldova 29 % der Bevölkerung unter dem Armutsniveau und 15,2 % davon befinden sich in einer äußerst schwierigen Situation.

Auf der anderen Seite leben 10 % der Bevölkerung in allgemein guten Lebensverhältnissen und 2 % sind ausgesprochen reich. Nimmt man die schon genannten 25 % der Auswanderer hinzu, ergibt sich das ebenso komplexe wie kritische Bild eines Staates, der sich in immensen Schwierigkeiten befindet und in dem ein großer Teil der Bevölkerung wegen der niedrigen Löhne seinen Lebensunterhalt nicht decken kann. Die Masse des Geldes, das durch die Emigranten aus dem Ausland kommt, ändert an dieser Situation kaum etwas.

Weder die Löhne der staatlichen Angestellten noch die der Beschäftigten in der Privatwirtschaft werden dadurch erhöht. Inoffizielle Schätzungen beziffern das jährlich aus dem Ausland in die Republik Moldau transferierte Geld auf eine Summe von mehr als einer Milliarde Euro, was etwa einem Drittel des gesamten Bruttoinlandsprodukts entspricht. Doch dieses Geld bewirkt aufs Ganze gesehen noch keine gesunde wirtschaftliche Entwicklung, bringt kein wirklich harmonisches Wachstum der nationalen Wirtschaft hervor. Es trägt bisher nur wenig zur Verringerung der akuten Armut, unter der viele Moldauer, vor allem Alte, Arbeitslose, Kranke und nicht zuletzt Familien, leiden, bei, auch wenn das Armutsniveau in Moldova insgesamt in den Jahren 2000 bis 2004 kontinuierlich gesunken (2005 aber wieder leicht gestiegen) ist. Der gewaltige Geldtransfer hat insbesondere in vier Bereichen zur Expansion bzw. zur Wirtschaftsentwicklung beigetragen: bei den Transportdienstleistungen, in der Telekommunikation, in der Konsumwirtschaft und insbesondere im Immobilienbereich.

3. Belastungen der Familie

Durch den Geldstrom aus dem Ausland wird ein beständiger Druck bei denen aufgebaut, die von solchem Geld bisher (noch) nicht profitieren. Das bedeutet, dass jede Familie danach trachtet, ein Mitglied ins Ausland auswandern zu lassen, um so zu Geld zu kommen. Den Preis dafür zahlen gewöhnlich die schwächeren Gruppen der Gesellschaft: die alten Menschen, die zurückbleibenden, meist jungen Ehemänner oder -frauen und nicht zuletzt die Kinder. Insgesamt kann man sagen, dass unter dieser Entwicklung vor allem die moldauische Familie leidet. Die Institution der Familie hat an Ansehen, aber auch an Stabilität verloren, was wachsende Scheidungs- und rückläufige Eheschließungszahlen, die Zunahme von Spannungen und Gewalt in den Familien wie auch die Verringerung der durchschnittlichen Familiengröße dokumentieren. Eine Werteveränderung im Familienleben ist besonders in den Städten zu beobachten, wo sich alles um den materiellen Wohlstand dreht, der mit den erwähnten Geldüberweisungen zusammenhängt, die gerade auf die junge Generation faszinierend wirken, sich häufig genug aber auch als verhängnisvolle Falle entpuppen.

Bei all dem bleibt als Kernproblem die verbreitete Armut, unter der besonders Familien im ländlichen Raum leiden; auch gelten 40 % der Haushalte, in denen drei oder mehr Kinder leben, als absolut arm. Und ein weiteres, kaum geringeres Problem liegt darin, dass viele Familien durch (mehr oder minder freiwillige) Migration zerrissen werden, vor allem dann, wenn Eltern, insbesondere Mütter, auswandern.

4. Die Situation der Frauen

Die heutigen Probleme der Institution Familie, die früher in Moldova sehr beliebt war und vom Staat auf verschiedenste Weise gefördert wurde, haben natürlich Auswirkungen gerade auch auf die Situation der Frauen – wie auch umgekehrt die Schwierigkeiten, mit denen die Frauen zu kämpfen haben, die Familiensituationen prägen. Die Frau ist in der moldauischen Familie nach wie vor der schwächste und empfindlichste Teil, patriarchalische Denkweisen sind in der Gesellschaft noch weit verbreitet. Gemäß einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2005 waren immer noch 20 % der Frauen im Alter zwischen 16 und 35 Jahren der Meinung, dass „Frauen Besitz des Mannes“ sind. Frauen sind daher auch in besonderem Maße Opfer von Gewaltakten in den Familien, wobei hier das gesamte Spektrum physischer, psychischer, sozialer, wirtschaftlicher und sexueller Gewalt zu berücksichtigen ist. Die eben genannte Studie hat aufgezeigt, dass 41 % aller Frauen im Alter von 25 bis 36 Jahren zu irgendeinemZeitpunkt ihres Lebens Opfer einer der verschiedenen Typen von Gewalt geworden sind. Dabei ist noch zu bedenken, dass es hier eine hohe Dunkelziffer gibt, weil natürlich längst nicht alle Frauen über die im Familienkontext erlittene Gewalt offen sprechen können oder wollen.

Doch auch unabhängig von der Gewaltproblematik ist die Frau in Moldova immer wieder ein Instrument der Ausbeutung und des Profits – sie ist häufig die wichtigste Arbeitskraft der Familie, um das notwendige Geld nach Hause zu bringen. Und wenn nicht, lebt sie in völliger finanzieller Abhängigkeit von ihrem Mann. Dass ein hoher Prozentsatz der Frauen aus dieser Situation zu fliehen trachtet und ihr Glück im Ausland sucht, ist vor diesem Hintergrund verständlich. Oder sie tun diesen Schritt gerade, um ihren zurückbleibenden Familienangehörigen das finanzielle Überleben zu sichern. Studien über die Situation der Familie in Moldova zeigen, dass Familien „mit Auswanderern“ in deutlich geringerem Ausmaß unter Armut leiden als solche „ohne Auswanderer“.

5. Auswanderung aus der Armut

Nach offiziellen Statistiken sind im Zeitraum von 1999 bis 2005 rund 430.000 Menschen aus der Republik Moldau ins Ausland emigriert. Da es sich jedoch um weitgehend illegale Wanderungsbewegungen handelt, dürften die inoffiziellen Angaben über die tatsächlichen Auswandererzahlen zutreffender sein: diese gehen von 600.000 bis 1 Million Auswanderern aus. Die Summe der von diesen Emigranten nach Moldova rücktransferierten Gelder belief sich im Jahr 2005 auf etwa 915 Millionen US-Dollar, das waren 31,4 % des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Republik Moldau (zum Vergleich: 1997 waren dies nur 5,9 %). Studien von Wirtschaftsanalysten zufolge hat die Auswanderungswelle die Armut in Moldova in den letzten Jahren um ca. 20–25 % reduziert. Und die Migrationsströme halten auch gegenwärtig an bzw. werden noch stärker.

Von der Gesamtzahl der Ausgewanderten sind rund 66 % Männer und 34 % Frauen. Zielländer der männlichen Emigranten sind zumeist Russland und die Ukraine sowie einige westeuropäische Länder wie Portugal, Spanien und Frankreich. Die ganz überwiegende Zahl der auswandernden Frauen geht in letzter Zeit vor allem nach Italien, sodann in die GUS-Staaten, doch auch in arabische Länder, in die Türkei und nach Israel. Bei der Betrachtung der – gemessen an der Bevölkerungszahl Moldovas – exorbitant hohen Auswandererzahl darf nie in Vergessenheit geraten, dass im Wesentlichen die Erfahrung von Armut Ursache dieser Migration ist. Hier spielen also Elemente von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit zusammen, die zum Verlassen der Heimat und der Familie – für immer oder auf Zeit – nötigen. Und nicht immer finden die Emigranten im Ausland die von ihnen erwarteten Arbeitsangebote vor, müssen sich aber – fern von zu Hause – dann in Umstände fügen, die sie sich nicht mehr aussuchen können.

6. Opfer des Frauenhandels

Für viele Frauen, die Moldova auf der Suche nach einem guten Job verlassen, endet der Weg in sexueller Ausbeutung und Erniedrigung. Sie werden gezwungen, etwas zu tun, was sie freiwillig niemals täten. Zwar ist häufig eine gewisse Risikobereitschaft vorhanden, mitunter sicher auch die Bereitschaft, Gesetze zu verletzen. Denn viele Emigrantinnen sind offen und aufgeschlossen für Experimente und (zunächst) mit allem einverstanden, wenn es ums Geldverdienen geht. Sie sehen für sich in ihrer Heimat wenig oder keine Perspektiven und sind daher nicht unbedingt wählerisch bei der Jobsuche im Ausland. Dass sie dabei gelegentlich ihr Leben riskieren oder sich zumindest in Abhängigkeiten bis hin zur Zwangsprostitution begeben, ist ihnen nur selten klar. Ihre Prädisposition, auch hohe Risiken einzugehen, ist dann umso größer, wenn sie sich mit ihrer Emigration einer erlebten Zwangslage im persönlichen bzw. familiären Umfeld (zum Beispiel der Erfahrung von Gewalt in der Familie) entziehen wollen. Schätzungen gehen davon aus, dass vier von zehn Mädchen oder jungen Frauen, die Moldova verlassen möchten, bereit sind, alles zu riskieren und eben deshalb in der akuten Gefahr sind, Opfer von Menschenhändlern zu werden. Sie sind auch nur allzu bereit, sogenannten „Erfolgsgeschichten“ emigirierter Frauen, selbst solchen, die sich zur Prostitution rekrutieren ließen, Glauben zu schenken. Unweigerlich geraten sie dadurch in die Fänge organisierter Banden, die ihnen den Transit aus Moldova ermöglichen und ihnen falsche Ausweispapiere besorgen, sie dann aber – nach dem Grenzübertritt – wie eine beliebige Handelsware betrachten und hemmungslos sexuell ausbeuten. Sie werden Bestandteile einer regelrechten „Handelskette“, werden von Zuhälterringen wie Sklavinnen von einem Land ins nächste weiterverkauft. Für eine Frau, die einmal in diese Mechanismen der organisierten Kriminalität hineingeraten ist, ist es extrem schwierig, ihnen wieder zu entkommen. Die Frauen werden durch teilweise extreme körperliche Gewalt gefügig gemacht oder sie werden psychisch unter massiven Druck gesetzt, beispielsweise durch Drohungen, dass der Familie daheim etwas zustoßen könnte. Gelegentlich werden Mädchen, die sich aus ihrer Situation zu befreien versuchen, auch umgebracht oder sie verschwinden einfach.

7. Aufklärung und Hilfe tut Not

Bei der in der Analyse des Frauenhandels inzwischen üblichen Einteilung in Lieferländer, Transitländer und Zielländer gehört die Republik Moldau zu den sogenannten Lieferländern in Osteuropa, zusammen etwa mit Rumänien oder der Ukraine (als Transitländer gelten u. a. das ehemalige Jugoslawien und Albanien, als Zielländer vor allem westeuropäische Länder wie beispielsweise Italien, Frankreich oder Deutschland). Hauptkennzeichen eines „Lieferlandes“ ist in aller Regel die Armut und das Elend, die junge Frauen und Mädchen erst so weit bringen, sich den Menschenhändlern auszuliefern. In gewisser Weise sind die Opfer des Frauenhandels aus Moldova schon vorher Opfer gewesen, nämlich Opfer der schwierigen Verhältnisse in ihrem Land. Daher ist die Antwort auf die Frage, was man denn vor allem gegen den Frauenhandel tun kann, zwar schnell gegeben: Es gilt, die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen für die Arbeitsmigration und die damit einhergehenden Risiken zu beseitigen. Allerdings ist die Realisierung des Inhalts dieser raschen Antwort umso schwieriger und langwieriger und hängt von einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung der Republik Moldau insgesamt ab. Will man sich mit einer solchen „Langzeitperspektive“ allein nicht zufrieden geben, bleiben immer noch viele Möglichkeiten konkreter Hilfe im Einzelfall. Und die caritative Tätigkeit der katholischen Kirche in Moldova setzt genau hier an. Sie hilft Opfern des Frauenhandels, die sich aus ihrer Zwangssituation befreien konnten und unterstützt sie bei der Reintegration in ihr gesellschaftliches und familiäres Umfeld. Die Kirche versucht aber auch, durch verschiedene sozial-pastorale Aktivitäten bereits die Familien selber zu stärken und bedürftigen Menschen in ihrer Not zu helfen. Dazu hat sie gerade ein „Jahr der Familie“ ausgerufen und zu ihrem Themenschwerpunkt gemacht. Bei zahlreichen Projekten wird sie von Partnerorganisationen in den Ländern und Kirchen Westeuropas maßgeblich unterstützt, so auch von der Solidaritätsaktion Renovabis, dem Osteuropahilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland. Bezüglich der Frauenhandels-Thematik gibt es über das internationale Caritas- Netzwerk einen intensiven Austausch mit der Caritas Czechia, die ebenfalls über viel praktische Erfahrung mit dieser Problematik verfügt. Die katholische Kirche in Moldova kämpft weiterhin – auf der mentalen Ebene – gegen einen kruden Materialismus, gegen eine naive Logik des Geldes, die zu echtem Wachstum und echter Entwicklung im Lande nichts beiträgt. Und sie setzt sich schließlich massiv ein für die Achtung der Würde der Frau bzw. für die Zurückgewinnung dieser Würde. Was in einem „Lieferland“ von Opfern des Frauenhandels weiterhin getan werden kann und getan werden muss ist Aufklärung. Viele junge Frauen, die sich zur Auswanderung entschließen, vertrauen blind irgendwelchen Versprechungen – sehen hinter scheinbar lukrativen Jobangeboten „im goldenen Westen“ nicht die wahren Risiken von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Hier kann es gar nicht genug Initiativen zur Prävention, Information und Aufklärung geben. Den Opfern des Frauenhandels muss natürlich mit allen Mitteln geholfen werden – fast noch wichtiger ist es jedoch zu verhindern, dass sie überhaupt Opfer werden. Auch hier weiß die Kirche sich in der Verantwortung.